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Vortragsreihe 2017/18

„Sind wir im Krieg?“

Zur psychosozialen Funktion des Krieges

 ‘s ist leider Krieg! – und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Matthias Claudius, 1778

Im 18. Jahrhundert schreibt Matthias Claudius sein Kriegslied. Gloriole und Elend des Krieges werden eingerahmt durch ein „.. ich begehre nicht schuld daran zu sein!“, Ausdruck eines bedrängenden Verdachts, an der Geschichte der eigenen Zeit mitschuldig zu sein.
Und heute? Über sechs Jahrzehnte sind wir in Deutschland vom Krieg auf eigenem Territorium verschont geblieben. Dennoch ist Krieg allgegenwärtig, medial und emotional. Krieg und Kriegsfolgen sind in unserer Gesellschaft angekommen. In veränderter Form, globalisiert wie regionalisiert, als Hass, Terror, Drohnenkrieg, Cyberwar,… sprengt er Grenzen. Grenzen überschreitend sind auch seine Folgen – über fünfzig Millionen Menschen sind auf der Flucht; ganze Staaten und Regionen sind von Verelendung und Zusammenbruch bedroht.
»Sind wir im Krieg…?« ist also eine rhetorische Frage! Nicht rhetorisch sind Fragen nach Funktionen des Krieges, nach Mitschuld und nach Verantwortlichkeiten.
„Kriege werden gemacht…und um gemacht zu werden, müssen sie gewünscht sein.“ (Mentzos, 2002)
Die Bedingungsgefüge sind komplex, eine Mischung aus ökonomischen, politischen und psychosozialen Faktoren. Die Wirkmächtigkeit unbewusster Dynamik hierbei ist unabweisbar.
Als solche beschreibt Stavros Mentzos „die Annahme einer narzisstischen Pseudostabilisierung von Individuen und Gruppen (z. B. Ethnien) durch den Krieg und die Annahme eines pathologischen, kollusiven, psychosozialen Arrangements zwischen den Bedürfnissen der in den Krieg involvierten Vielen und den egoistischen Interessen samt der Psychopathologie der Machteliten… „
In diesem Kontext verstehen wir die Vortragsreihe als Beitrag zu einem vertiefenden Verständnis „der anachronistischen Institution »Krieg«“.

Die Referenten:

Prof. Dr. med. Gertrud Hardtmann
Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytikerin (DPV/IPA), 1977-1998 Professorin für Sozialpädagogik und Sozialtherapie an der Technischen Universität Berlin, Forschungsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Auswirkungen des Holocaust auf die erste, zweite und dritte Generation der Täter und Opfer, generationenübergreifende Traumatisierungen. Seit 1992 Untersuchungen zur rechtsradikalen Jugendgewalt und zum Fremdenhass. Buchveröffentlichung u. a. „16, männlich, rechtsradikal: Rechtsextremismus – seine gesellschaftlichen und psychologischen Wurzeln. (2007)

Prof. Dr. Rolf Pohl
Studium der Psychologie, Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie in Hannover. Habilitation mit der Schrift „Horror feminae“: Bausteine zu einer Psychoanalyse der Männlichkeit. Bis 2017 Professor am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie und der Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie. Themenschwerpunkte in Lehre, Forschung und Publikationen: Männlichkeits- und Geschlechterforschung, Jugendforschung und politische Psychologie. Arbeiten über psychoanalytische und sozialpsychologische Fragen zu NS-Tätern und ihren Verbrechen.

Prof. Wulf-Volker Lindner
Studium der Theologie, Germanistik und Philosophie. Ausbildung zum Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker; seit 1975 Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge / Pastoralpsychologie am Fachbereich Ev. Theologie der Univ. Hamburg, emeritiert 2002. Gründung der Arbeitsgruppe Hamburg und des Instituts für Psychoanalyse und Psychotherapie der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, deren Leitung er viele Jahre inne hatte. Gründungsmitglied der Göttinger Arbeitsgemeinschaft für die Anwendung der Psychoanalyse in Gruppen, die er 20 Jahre geleitet hat. Lehr- und Kontrollanalytiker (DPG, IPA, DGPT), Gruppenanalytiker und Gruppenlehranalytiker (DAGG, D3G). Ethnopsychoanalytische Studien in Papua Neuguinea. Zahlreiche Veröffentlichungen u. a.: Psychoanalytische Gruppentherapie (mit K. König, 1992); Theologie und Psychologie im Dialog über Identität und Fremdheit (et al.,1999)

Dr. phil. Jan Lohl
Studium der Dipl. Sozialwissenschaften, seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sigmund-Freud-Institut, außerdem tätig als psychodynamischer Coach und Supervisor (DGSv). Er war u. a. Lehrbeauftragter an der IPU Berlin, Vertretungsprofessor für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; Mitherausgeber der Zeitschrift „psychosozial“, Autor und Co-Autor vieler Veröffentlichungen, u. a. „Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus. Eine sozialpsychologische Studie zur Generationsgeschichte des Nationalsozialismus“ (2010) Mitherausgeber des Buches „Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus. Psychoanalytische, sozialpsychologische und historische Studien“ (mit A. Moré, 2014)

Prof. Lorenz Böllinger
Studium der Rechtswissenschaften und Psychologie an der Universität Frankfurt am Main, Ausbildung zum Psychoanalytiker. Als Jurist, Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker war er zunächst als Rechtsanwalt tätig, anschließend als Hochschullehrer an der Fachhochschule Dortmund und der Fachhochschule Frankfurt am Main. 1982 Professur am Fachbereich Jura der Universität Bremen. Strafwissenschaftlicher Schwerpunkt: Drogendelikte, Sexual- und Gewaltdelikte; Leitung des ‚Bremer Institut für Drogenforschung‘. Weitere Schwerpunkte sind die Rechtspsychologie und die Behandlung von Straftätern. Tätig in eigener psychotherapeutisch-psychoanalytischer Praxis. Zahlreiche Veröffentlichungen u. a. „Gefährliche Menschenbilder: Biowissenschaften, Gesellschaft und Kriminalität“ (2010).

Lizzie Doron
Geboren und aufgewachsen in Tel Aviv, studierte sie Linguistik, bevor sie Schriftstellerin wurde. Ihr erster Roman ‚Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?‘ (1998) war bereits ein Erfolg. Weitere preisgekrönte Romane, meist um die „Zweite Generation“ kreisend, folgten. Ihr dokumentarischer Roman ‚Who the Fuck is Kafka?‘ (2015) machte sie international bekannt.  ‚Sweet Occupation‘ (2017) setzt ihre Hinwendung zu politischen Themen – dem Schicksal von Palästinensern und Juden, der Vision eines friedlicheren Zusammenlebens – radikal fort. Sie ist Trägerin verschiedener Auszeichnungen. Für ihren Roman ‚Ruhige Zeiten‘ (2003) wurde sie mit dem von Yad Vashem vergebenen Buchman Preis ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Jeannette Schocken Preis.