„Sind wir im Krieg?“
Zur psychosozialen Funktion des Krieges
‘s ist leider Krieg! – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Matthias Claudius, 1778
Im 18. Jahrhundert schreibt Matthias Claudius sein Kriegslied. Gloriole und Elend des Krieges werden eingerahmt durch ein „.. ich begehre nicht schuld daran zu sein!“, Ausdruck eines bedrängenden Verdachts, an der Geschichte der eigenen Zeit mitschuldig zu sein.
Und heute? Über sechs Jahrzehnte sind wir in Deutschland vom Krieg auf eigenem Territorium verschont geblieben. Dennoch ist Krieg allgegenwärtig, medial und emotional. Krieg und Kriegsfolgen sind in unserer Gesellschaft angekommen. In veränderter Form, globalisiert wie regionalisiert, als Hass, Terror, Drohnenkrieg, Cyberwar,… sprengt er Grenzen. Grenzen überschreitend sind auch seine Folgen – über fünfzig Millionen Menschen sind auf der Flucht; ganze Staaten und Regionen sind von Verelendung und Zusammenbruch bedroht.
»Sind wir im Krieg…?« ist also eine rhetorische Frage! Nicht rhetorisch sind Fragen nach Funktionen des Krieges, nach Mitschuld und nach Verantwortlichkeiten.
„Kriege werden gemacht…und um gemacht zu werden, müssen sie gewünscht sein.“ (Mentzos, 2002)
Die Bedingungsgefüge sind komplex, eine Mischung aus ökonomischen, politischen und psychosozialen Faktoren. Die Wirkmächtigkeit unbewusster Dynamik hierbei ist unabweisbar.
Als solche beschreibt Stavros Mentzos „die Annahme einer narzisstischen Pseudostabilisierung von Individuen und Gruppen (z. B. Ethnien) durch den Krieg und die Annahme eines pathologischen, kollusiven, psychosozialen Arrangements zwischen den Bedürfnissen der in den Krieg involvierten Vielen und den egoistischen Interessen samt der Psychopathologie der Machteliten… „
In diesem Kontext verstehen wir die Vortragsreihe als Beitrag zu einem vertiefenden Verständnis „der anachronistischen Institution »Krieg«“.
Die Referenten:
Prof. Dr. Wolfgang Emmerich
Studium der Germanistik, Geschichte und deutsche Volkskunde in Freiburg/Br., Köln und Tübingen; 1978 bis 2006 Professor für neuere deutsche Literaturgeschichte und Kulturwissenschaft an der Universität Bremen; 1988 Gründung des Bremer Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien (IFKUD) und dessen Leiter bis 2005. Gastprofessuren an verschiedenen Universitäten in den USA, in Paris und Turin. Forschungsschwerpunkt ist die Literatur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Dr. Robi Friedman
Studium der Psychologie, tätig als Klinischer Psychologe und Gruppenanalytiker in eigener Praxis sowie an der Universität Haifa. Er ist Präsident der Group Analytic Society international und ehemaliger Vorsitzender des Israelischen Instituts für Gruppenanalyse. Zudem ist er Gruppenlehranalytiker am Seminar für Gruppenanalyse Zürich (SGAZ), Autor zahlreicher Artikel und Bücher über Träume, Traumerzählung und Beziehungsstörungen, Koautor von „Dreams in Group Psychotherapy“ (2002), „Desire, Passion und Gender“ (2011) und „Group Analysis in the Land of Milk and Honey“ (2016). International leitet er Seminare, Workshops und Großgruppen.
Prof. Dr. Elisabeth Rohr
Professorin für Interkulturelle Erziehung an der Philipps-Universität Marburg bis 2013, seit vielen Jahren als Gruppenanalytikerin, Supervisorin und Consultant in nationalen und internationalen Arbeitsbereichen tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Migration, Fundamentalismus, Gender und Supervision. Zu diesen Themen hat sie vielfältig publiziert. Seit mehreren Jahren leitet sie im Rahmen internationaler Zusammenarbeit Supervisionsausbildungen von MenschenrechtsaktivistInnen in Guatemala und ist engagiert in der Fortbildung von PsychologInnen in Palästina. 2014 hielt sie die Foulkes-Lecture in London.
Prof. Dr. Angela Moré
Studium der Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft in Hannover, Außerplanmäßige Professorin für Sozialpsychologie an der Leibniz Universität Hannover, Foulkes’sche Gruppenanalytikerin und Gruppenlehranalytikerin (D3G), zahlreiche Lehr- und Forschungstätigkeiten im In- und Ausland, aktuell Verwaltung einer Professur für Psychologie an der Hochschule Emden-Leer. Forschungsschwerpunkte: psychoanalytische Sozial- und Entwicklungspsychologie, Gruppenprozesse, Körperbild, Transgenerationalität, Ideengeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus“ (gem. mit Jan Lohl).
Prof. Dr. Michael Ermann
Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker (DPG/IPV), Lehranalytiker. Langjähriger Vorsitzender der DPG, Ehrenmitglied. Professor an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, emeritiert 2009. 1985-2009 dort Leiter der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik der Psychiatrischen Universitätsklinik. Seit 2009 tätig in eigener Praxis für Psychoanalytische Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Supervision, Coaching und Beratung. Ein Forschungsschwerpunkt u. a. und Projekt sind „Kriegskindheit im II. Weltkrieg und ihre Folgen“, dazu zahlreiche Veröffentlichungen.
Dipl. Psych. Ahmad Mansour
Diplom-Psychologe, arabischer Israeli, seit 2004 in Berlin lebend, arbeitet für Projekte gegen Extremismus, u. a. bei HEROES, einem Projekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung, und bei HAYAT, einer Beratungsstelle für Deradikalisierung. Außerdem ist er Programmdirektor der European Foundation for Democracy. Er erhielt den Moses-Mendelssohn –Preis zur Förderung der Toleranz und die Josef-Neuberger-Medaille der jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Salafismus und Antisemitismus, zuletzt v. a. „Generation Allah – Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“ (2015).