Die Wurzeln des Bösen
– zum Thema von Aggression und Gewalt –
Teil II
Bildzitat: DIE ZEIT online, 22.10.2009, Nr. 44, Brudermord Kain und Abel, 13. Jahrhundert
Die Medien überschwemmen uns mit Meldungen über rücksichtslose Profitgier, brutale Gewalt, Sadismus, Zerstörung in Kriegsszenarien, in Gefängnissen, in Arbeits- und Gruppenzusammenhängen, in Schulen und Familien.
Eine bedrohliche Entwicklung unserer Zeit? Der Blick zurück in die Menschheitsgeschichte, in Mythen, Sagen und Märchen zeigt das „Böse“ als ein zeitüberdauerndes, genuin menschliches Problem.
Der „Sündenfall“ im Alten Testament führt das „Böse“ in unsere jüdisch-christlich geprägte Kulturgeschichte ein. Die Frau durchbricht das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, um selbst gut und böse erkennen zu können. Geht es bei dieser „Sünde“ nicht eher um Emanzipation, Autonomie und Verantwortlichkeit?
Die Geschichte von Kain und Abel zeigt die destruktive Seite des „Bösen“. Kain erschlägt seinen Bruder. Doch was ist dem vorausgegangen? Was sind seine tieferen Beweggründe? Es stellt sich die grundlegende Frage: Steckt Gewalttätigkeit triebhaft in uns – oder wird sie reaktiv durch Frustration, Neid, traumatisches Erleben ausgelöst?
Es gibt keine Entwicklung ohne Aggression, die als angeborenes Potential zu postulieren ist. Das kleine Kind bereits bedarf der Aggression, um sich in der Welt und in Beziehungen zu behaupten, seine Umwelt zu „erobern“. Jedes Nein enthält Aggression, und jede entwicklungsnotwendige Loslösung bedarf der Trennungsaggression. Wie und wodurch mutiert jedoch diese lebenserhaltende Kraft in eine destruktive, gar lebensvernichtende? Ist es ein Bedingungsgefüge komplexer Wechselwirkungen in jeweils individueller Ausprägung?
Die zutiefst verunsichernde Erfahrung, dass das „Böse“ nicht nur im Außen zu fi nden ist, sondern im eigenen Inneren, bringt Musils Zögling Törless zum Ausdruck:
Es ist etwas Dunkles in mir, … das ich mit den Gedanken nicht ausmessen kann, ein Leben, das sich nicht in Worten ausdrückt und das doch mein Leben ist…
Angesichts der Komplexität des Themas von Gewalt und Aggression – Entstehung, Entwicklung und Dynamik – setzen wir die Vortragsreihe mit Teil II fort.